kunstwerk experiment
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<<< _Die
Untersuchungen waren ein Produkt der Zusammenarbeit von Wissenschaft
und Handwerk. „Mechanische
Künstler“ wie der Feinmechaniker Johann
Georg Halske (1814-1890) standen
mit den Naturwissenschaften und der Technik der Zeit auf Augenhöhe.
Der in der Werkstatt Boetticher & Halske gebaute Multiplikator
bestand aus zwei, an einem Seidenfaden übereinander aufgehängten
Magnetnadeln. Die untere Nadel schwebte im Inneren einer Kupferdrahtspule,
die obere über einer in Winkelgrade geteilten Skala. An
den Kupferdraht angelegter elektrischer Strom lenkte das Magnetnadelsystem
um die Achse des Fadens aus. Der Umgang mit dem störanfälligen
Apparat setzte ein hohes Maß an Übung voraus.
Der Multiplikator, wie ihn der Mechaniker zu liefern
vermag, ist nicht, gleich dem Barometer, dem Thermometer, einem
winkelmessenden Instrumente, ein fertiges Kunstwerk, welches
nur der Frage harrt, um Antwort zu ertheilen. Er ist eine noch
nicht justirte Waage, der die redende Seele des feinen Gleichgewichtes
erst eingehaucht werden soll. Hier ist es ganz in die eigene
Hand des Forschers gelegt, aus dem Instrumente das zu machen,
dessen er bedarf, durch seine Aufstellung und durch die Abgleichung
der zarten Kräfte, welche das magnetische System regieren.
DuBois-Reymond erhob das Experimentieren mit dem Multiplikator
in den Rang der schönen Künste. Das Ziel seiner „Kunst
des Versuchens“ war die Koproduktion von Wissen und ästhetischem
Gelingen. Die Muskeln und Nerven des Experimentators hatten
dabei ihren Anteil. Denn das Experimentieren, wie DuBois-Reymond
es verstand, ist eine gestaltgebende Leibesübung. Es ist
eine Muskel- und Nervengymnastik der Hände und der Sinne
im tätigen Umgang mit Laborinstrumenten. Gleich einem
Turner am Reck oder am Barren im Turnsaal bildete und formte
sich der Experimentator im Labor durch Übung und Selbstvervollkommnung
am Gerät. Der übende Experimentator ist ein Künstler
an sich selbst, der geübte Experimentator ein Kunstwerk.
Das Experimentieren ist eine Leibeskunst, über welche
sich die Schönheit des klassisch gebildeten Körpers
mit der „mechanischen Schönheit“ der Apparate und Versuchsanordnungen
zu einer „Ästhetik des Versuchs“ verbindet.