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emil dubois-reymond __

<<< _Mangels geeignetem Laborplatz im Universitätsgebäude experimentiert, zeichnet und schreibt er in den eigenen vier Wänden: zunächst im Elternhaus in der Potsdamer Straße, nach 1845 dann in der am Garten der Tierarzneischule, nahe der Charité gelegenen Karlstraße. Hermann von Helmholtz erinnert DuBois-Reymonds Laboratorium später so:

 

 

 

In dem ersten der zwei kleinen einfenstrigen Zimmer der Karlstraße standen ein Schlafsofa und ein kleines Bücherpult, das Zimmer machte den Eindruck einer Schiffskoje. Im zweiten Zimmer, das freie Aussicht ins Grüne hatte, da hatte den Ehrenplatz der Multiplicator, am Fenster der Präparirtisch für die Frösche und sonstiges wissenschaftliche Geräth.

Das Produkt des jahrelangen Experimentierens im Wohnlabor ist eine zweibändige Monographie mit dem Titel Untersuchungen über thierische Elektricität. Illustriert wird der zwischen 1848 und 1884 in vier Etappen veröffentliche Text mit mehr als 150 Kupferstichen.

Die Vorlagen für den Kupferstecher zeichnete DuBois-Reymond selbst. Auf Bildtafel V. im zweiten Teil des zweiten Bandes, der 1860 erscheint, ist der Forscher, der im von Helmholtz beschriebenen Experimentierzimmer fehlt, bei der Arbeit zu sehen. Den „Ehrenplatz“ mit „Multiplikator“ fest im Blick, sitzt ein junger Mann an einem Tisch und macht sich an einer Versuchsanordnung zu schaffen.

 

 

 

Der Experimentator ist nackt und hat das Aussehen einer antiken Kunstfigur. Das Experimentieren, dies soll der Betrachter der Bildtafel in den Untersuchungen sehen, ist epistemische und ästhetische Praxis zugleich. Es ist eine „Kunst des Versuchens“, eine Leibeskunst im tätigen Umgang mit Laborinstrumenten. Ziel des Experimentierens ist die Koproduktion von Wissen und ästhetischem Gelingen. Ohne das eine bleibt das andere unvollständig. „Der höchste Begriff idealischer männlicher Jugend ist sonderlich im Apollo gebildet,“ lautet seit Johann Joachim Winckelmann die Sehanweisung in der Begegnung mit dem Drachentöter -- seine „Formen sind [...] einem edlen und zu großen Absichten gebornen Jüngling gemäß: daher war Apollo der schönste unter den Göttern“. Jünglingshafte Schönheit und jugendlich-männlicher Heldenmut paaren sich in DuBois-Reymonds Laboratorium auf eigene Art. Wie Winckelmanns Apollo hat der experimentierende Griechenjüngling große Absichten und will einen Gegner bekämpfen.

Gemeinsam mit den „organischen Physikern“ Hermann Helmholtz, Carl Ludwig und Ernst Brücke schwört DuBois-Reymond „die Wahrheit geltend zu machen, daß im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind, als die gemein physikalisch-chemischen“.

 

 

 

Die Einleitung zu den Untersuchungen ist ein antivitalistisches Manifest. Gleich Apollo, der, mit goldenen Pfeilen und einem Silberbogen bewaffnet, im Jünglingsalter die Schlange Python besiegte, um an die Zukunftsweisheiten des Orakels von Delphi zu gelangen -- dargestellt in der Figur des Apollo vom Belvedere -- ist der experimentierende Grieche ein Heldenjüngling, der, mit Eisennadeln, Platinblech und Kupferdraht gerüstet, dem die Zukunft der Physiologie verdunkelnden Python „Vitalismus“ zu Leibe rückt. Wie alles Schöne und Heldenhafte steht die Befreiung der Physiologie aus den „alten Schulen“ unter dem Schutz des Apollo -- das Experimentieren als ein Handwerk der Wissenschaft und der bildenden Kunst inbegriffen.

Emil DuBois-Reymond und Anton Hallmann begegnen sich kurz vor Beginn der Experimentierarbeiten zu den Untersuchungen. Der Architekt und der Physiologe teilen ein gemeinsames Anliegen: Altes soll überwunden und durch ein Neues ersetzt werden. Der eine will Neues in der Physiologie, der andere in der Kunst und Architektur. Im gegenüber dem Alten gewählten Ton ist die Verwandtschaft nicht zu überhören. Beide geben sich kämpferisch bis zur Polemik -- DuBois-Reymond 1848 in der Einleitung zu den Untersuchungen , Hallmann, schon früher, in den 1842 veröffentlichten Kunstbestrebungen der Gegenwart.

 

 

 

Keinerlei Einssein gibt es im Blick auf die Antike. Während DuBois-Reymond den „von unvergänglichem Zauber umwitterten Menschen- und Göttergestalten des Altertums“ zeitlebens nicht entkommen kann, ist Anton Hallmann der Kniefall vor der Vergangenheit zuwider. Mit dem „Nachäffen“ und dem „Wiederkäuen“ und dem immer wieder neuen Entstehen des schon Vorhandenen rechnet er in den Kunstbestrebungen ab, die Gegenwart solle sich besser „selbst fühlen“ und eine lebensvolle Kunst entstehen lassen.

Nach Hallmanns frühem Tod 1845 reagiert DuBois-Reymond mit einer in der Geschichte der Naturwissenschaften wohl kaum mehr wiederholten Widmungsabsicht. Obwohl bei der Veröffentlichung des ersten Bandes 1848 dem Mentor Johannes Müller gewidmet, sind die Untersuchungen eigentlich dem Architekten Hallmann zugeeignet. „Ich wünsche nur“, heißt es drei Jahre zuvor in einem Brief an den Bruder Eduard, „daß es mir vergönnt sein möge, diesem unvergleichlich edlen Gemüt noch durch Darbringung meines vollendeten Werkes eine Freude zu bereiten, indem ich ihm den Traum seiner glänzenden Jugend verwirklicht zeige“.

Die Architektur ist ein „Zwittergeschöpf zwischen Kunst und Wissenschaft“, sagt Hallmann, und ein Zwittergeschöpf der gleichen Art sollten DuBois-Reymonds Untersuchungen sein.